Austausch leben - Eine Brieffreundschaft


Eine Brieffreundschaft zwischen Ghana und Deutschland



Während meiner Zeit hier in Ghana, wird mir immer wieder bewusst, wie viel man doch lernt und wie sehr man sich weiterentwickelt, wenn man in den direkten Austausch mit anderen Menschen und ihrer Kultur oder Lebensart geht. Wir alle haben unsere Vorurteile und falschen Vorstellungen – wenn auch nicht beabsichtigt. Diese kulturelle Brille entwickelt sich quasi automatisch, wenn man isoliert aufwächst, in seiner Bubble bleibt und in der gewohnten gesellschaftlichen Struktur. Deshalb ist der Austausch glaube ich so wichtig: man lernt fremdes kennen und verstehen und dabei wird so manche falsche Einordnung durch erfrischende Erlebnisse in Frage gestellt. Man entdeckt gemeinsam, wo man sich voneinander unterscheidet aber vor allem, dass man noch viel mehr gemeinsam hat, als vielleicht anfangs gedacht. Austausch ist der erste Schritt, um sich näher zu kommen und Spaltungen und Grenzen (egal ob geographische, gesellschaftliche, politische oder kognitive) eine Vereinigung entgegenzusetzen. Und ich glaube, mit diesem Austausch sollte man so früh wie möglich anfangen. Die Konfrontation mit „dem Fremden“ führt im besten Falle auch dazu, dass man sich mit sich selbst auseinandersetzt. Habe ich Vorurteile? Was sind eigentlich meine Privilegien? Was bedeutet es eigentlich weiß zu sein? Und wie gehe ich am besten damit um, beziehungsweise woran könnte ich arbeiten? Das sind alles Fragen, die man sich stellt, wenn man das erste Mal einen Austausch erlebt und aus seinem gewöhnten Umfeld herausgerissen wird. Diese Gedanken beschäftigen mich – angestoßen natürlich durch meine Freiwilligenarbeit und den damit verbundenen Austausch – und diese Gedanken haben mich auch dazu inspiriert, einen Austausch in Form einer Brieffreundschaft zwischen Afrika und Europa, Ghana und Deutschland, zu organisieren.  Hinzu kommt natürlich, dass so eine Freundschaft mit einem Kind, welches auf einem anderen Kontinent, unter ganz anderen Bedingungen lebt, sehr aufregend und spannend ist - für beide Seiten. Als ich in der Klasse 5B das erste Mal vorgestellt habe, was mein Plan ist und das sie bald alle einen an sich adressierten Brief in der Hand halten werden, war die Freude groß. Auch die Kinder bekommen mit, dass sich viele Erwachsene wünschen, nach Europa zu gehen und das dieses aber irgendwie unerreichbar scheint… als ob sich die westliche Welt von Afrika abkapselt (was ja auch irgendwie stimmt…). Dementsprechend waren alle sehr aufgeregt und glücklich, als sie erfahren haben, dass sie bald einen Freund/in in Deutschland haben und damit endlich einen Kontakt, der aus ihrem Dorf und ihrer Welt herausreicht.
 Als ersten Schritt haben wir ein kleines Fotoshooting veranstaltet und die finalen Ergebnisse dessen nach Deutschland, an die 5A des Aggertal-Gymnasiums geschickt. So hatte die deutsche Klasse direkt ein Bild vor Augen, an wen sie da eigentlich gerade schreiben. Schon drei Wochen später hielten meine Fünftklässler dann ihre Briefe in der Hand. Wir haben zusammen überlegt, wie man eine Antwort aufbauen und ausschmücken könnte und welche Fragen sie an die deutschen Kinder haben. Dann ging`s an Schritt Nummer zwei: das Schreiben der Antwort natürlich. Zusammen mit der deutschen Post sind auch Sticker und buntes Papier bei uns angekommen, worüber sich alle sehr gefreut haben. Aufgeregt wurden sich die Briefe gegenseitig gezeigt, die Fotos der deutschen Kinder wurden herumgereicht und es wurde fleißig an schönen Antworten gefeilt. Ich musste die Aussprache von unzähligen deutschen Namen vorsagen und wurde mit Fragen à la „Was ist Lasagne?“ und „Wer ist dieser Ed Sheeran?“ gelöchert. Die Kinder hatten mindestens genauso viel Spaß beim Lesen der deutschen Briefe, wie beim Schreiben der eigenen. Die Frage „Do you have a girlfriend?“ hat zu einigem Gekicher geführt und über die deutsche Vorstellung, dass man hier jeden Tag Elefanten sieht, wurde sich schlapp gelacht. Die Kinder haben sich bei ihren Antworten wirklich unglaublich viel Mühe gegeben und insgesamt war ich ganze drei Stunden in der Klasse, bis auch der letzte Brief fertig und abgabebereit war. Noch Tage später wurden mir für die neuen Freunde Fotos und selbstgebastelte Armbänder zugesteckt. Wie ich später herausfand, wurde leider auch um Geschenke, wie Handys oder ähnliches gebeten, was einfach daran liegt, dass Geld so ziemlich das Erste ist, was die meisten Kinder hier mit Weißen assoziieren. Das bekomme ich tagtäglich mit, wenn ich auf der Straße nach ein paar Cedis oder auch einer Heirat gefragt werde. Ich war mir erst unsicher, wie ich mit dieser Situation umgehen soll und habe mich dann dazu entschieden, mit den Schülern darüber zu reden. Ich habe sie gefragt, was das Erste ist, was sie einen Freund fragen, wenn sie ihn treffen. Diese Frage genügte eigentlich schon: Das „Can you buy me phone?“ wurde wegradiert und das „How are you?“ blieb bestehen. Irgendwo verstehe ich, wie es bei den Kindern zu dieser Haltung gegenüber Weißen kommt, doch umso erleichterter bin ich jetzt, dass die neuen Freundschaften nicht durch falsche Hoffnungen oder unangenehme Situationen gestört werden.
Der neugierige, positive Austausch überwiegt auf jeden Fall in den Briefen und insgesamt ist das Brieffreundschaftsprojekt positiv gestartet. Die anderen Klassen und einige Lehrer haben mich mittlerweile schon gefragt, ob sie nicht auch einen Brieffreund haben können… Also falls ich bei euch jetzt das Interesse nach Austausch und internationaler Freundschaft  geweckt haben sollte, könnt ihr euch gerne bei mir melden!

Liebe Grüße aus dem elefantenfreien Nsawam,

Lotte💛

 

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