Morgen in Senya Beraku
Ein Sonnenaufgang
Wenn ich
Gedichte schreiben könnte, dann würde ich es jetzt tun.
Um
einzufangen, was ich sehe, rieche, höre, fühle.
Ein
Sonnenaufgang in Senya Beraku.
Man sieht
die Sonne nicht, dazu ist es zu bewölkt. Am Horizont, an der Stelle, wo sich
eine klare Linie zieht, welche das Meeresblau von dem des Himmels abtrennt,
sind es besonders viele Wolken. Sie sind dunkelblau und dicht. Doch je weiter
man von dieser Linie nach oben schaut, desto weniger werden es. Sie werden
flockiger und die Farben des Sonnenaufgangs klaffen zwischen den Lücken hervor.
Erst rosa, dann rot, lila und schließlich ein gleichmäßig strahlendes blau.
Mit
dem Sonnenaufgang erwacht Senya Beraku zum Leben. An dem kleinen Strand tummeln
sich die Menschen. Unzählige kleine Holzboote stoßen vom Ufer ab und machen
sich auf den mühsamen Weg, in Richtung offenes Meer. Ich beobachte die Fischer.
Sie ziehen mit vereinten Kräften an einem Tau, welches einige hundert Meter vor
ihrem Boot ins Wasser eintaucht. Es scheint, als würden sie sich mit diesem Tau
ins Wasser ziehen, denn jeder Zug den sie zusammen vollbringen, führt sie näher
Richtung Horizont und entfernt sie weiter von der schützenden Bucht. Die Wellen
klatschen erbarmungslos gegen den Bug des kleinen Bootes, ich sehe wie es
schwankt und wie das Wasser über die Kanten und auf die Fischer schwappt. Eine
besonders hohe Welle prallt gegen das Holz des Bootes. Die schwarze Silhouette
eines Fischerjungens fliegt in einem Bogen über Bord. Ich halte den Atem an und
starre auf das Wasser. Er taucht wieder auf und krault in großen Zügen auf das
Boot zu. Zwei Sekunden später wird er von seinen Kollegen hochgezogen und steht
wieder an Bord. Ich atme aus. Ich höre sie rufen. Es klingt nach Kampfschreien.
Als würden sie sich gegenseitig motivieren, nach der nächsten großen Welle
nicht aufzugeben, weiter an dem Tau zu ziehen, bis man es auf den Ozean
geschafft hat. Auf einmal höre ich einen Motor aufheulen. Ein etwas größeres
Schiff bahnt sich seinen Weg durch die schäumende Gischt an den Fischersleuten
vorbei. Fünfzehn Männer kann ich am Bord erkennen. Manche hantieren an
irgendwelchen Seilen und Netzen herum. Wieder andere scheinen auf den Horizont
zu blicken. Auf die Farbenpracht, die sich über ihnen entfacht. Sie schauen
sich den Sonnenaufgang an.
So wie ich.
Immer mehr Fischersboote stechen in See.
Sie sind alle bunt angemalt. Ich staune, dass die Farben dem Salzwasser
trotzen. An Schnüren, welche über die Boote gespannt sind, hängen bunte Fahnen
oder zerrissene T-Shirts und Hosen. Auf einem Boot steht ein Schriftzug: „Water
works.“ Auf einem anderen kann ich „God is first.“ lesen. Mittlerweile befinden
sich fast zwanzig Boote auf ihrem Weg ins offene Gewässer. Die Sonne versteckt
sich noch immer hinter den Wolken aber die Farben des Himmels haben sich
merklich geändert. Über meinem Kopf kreisen Vögel und aus der Ferne höre ich
die Gesänge und das Klatschen eines Gottesdiensts. Die Wellen prallen weiterhin
erbarmungslos an die Ufer. Die Felsen der Küste scheinen davon allerdings
unbeeindruckt und auch die Palmen strecken erhaben ihr sattes, grünes Haupt in
die Höhe. Je weiter ich meinen Blick am Ufer entlang schweifen lasse, desto
weniger kann ich erkennen. Ein Nebel scheint sich an das Land zu heften. Er
lässt alles ein wenig mystisch und naturbelassen erscheinen. Die Boote haben
die Bucht nun verlassen und werden vor meinen Augen immer kleiner. Die Rufe
kann ich trotzdem noch hören. Ich frage mich, wie lange die Männer auf See
sind. Klar ist, das Fischen ist die große Überlebensader Senya Berkus. Die
Menschen können nicht ohne das Meer und seine Bewohner. Anders herum sieht es
wahrscheinlich anders aus. Die wenigen, die sich nicht am Strand befinden und mitanpacken,
stehen einige Meter rechts von mir auf einem Hügel und beobachten ebenfalls das
Natur- und Menschenschauspiel, welches sich vor uns ergibt. Ich schaue herüber
und bemerke, dass einige der Schaulustigen mich anstarren. Schnell werfe ich
meinen Blick wieder auf den Ozean vor mir. Wie lange sie mich wohl schon
beobachten? Ich fühle mich unwohl, wie ich hier oben auf den Mauern der Burg
sitze und sie dort unten auf den Steinen des Hügels, zwischen dem Plastikmüll
und Dreck. In mir breitet sich das Bedürfnis aus, zu ihnen herunter zu gehen.
Da zeigt sich auf einmal die Sonne. Sie hat den dichten Teil der Wolkenschicht
überholt und strahlt nun über den Wolken hervor. Sofort spiegelt sich das Licht
im Wasser und die Boote tänzeln scheinbar auf den Sonnenscheinen hin und her.
Die Steine der Burg werden in ein goldenes Licht getaucht und ich spüre eine
sanfte Wärme auf meiner Haut.
Ein und Ausatmen.
Lächeln.
So sieht also ein
Sonnenaufgang in Senya Beraku aus.
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